DAS JAZZFEST BERLIN 2011

Eine Ära endet - Mr. Redhorn bricht auf zu neuen Ufern

jazz11_Nils_Landgren_verkleinert.jpgNach 5 Jahren, von 2008 bis 2011 und einer früheren Berufung in 2001, verlässt der schwedische Musiker Nils Landgren die Brücke des Jazzfest-Berlin-Schiffs, mit ihm geht auch der langjährige Intendant der Berliner Festspiele GmbH Joachim Satorius. Landgren zeigte, dass es auch heute noch möglich ist, viele verschiedene Interessen und Meinungen unter einen Hut zu bringen. Bei einem international renommierten Festival wie dem Berliner Jazzfest, das von der Tradition lebt, aber auch stets den Blick nach vorn wagen muss, ist das ein schwieriges Unterfangen. So erfordert dieser Job ein großes Maß an diplomatischem Vermögen. Die Medienvertreter, das Publikum, die Musikerfreunde, die vielen selbsternannten Wächter der Jazz-Szene, alle haben unterschiedliche Vorstellungen, wie ein Festivalprogramm gestaltet sein muss. So werden die Nerven des künstlerischen Leiters auf eine echte Haltbarkeitsprobe gestellt.

Nils Landgren versteht es, wie nur wenige Programm-Macher, unsichtbare Fäden zu spinnen, die alle Beteiligten miteinander verbinden. Uneitel sich selbst zurücknehmend, immer der gesamten Sache verpflichtet, ließ der humorbeseelte Schwede sich nie auf lobbyistischen Druck hin vereinnahmen und hielt sein Mitarbeiterteam stets bei guter Laune. Seine Handschrift konnte man indes jederzeit erkennen. Da er selbst ein filigraner Improvisator an der Posaune und ausgezeichneter Jazzsänger ist, konnte er mit den vielen Musikern, die bei den vergangenen Jazzfestivals in Berlin auftraten, eine energetische Spannung aufbauen und/oder Künstler so impfen, dass sie das Beste auf der Bühne zeigten, was sie geben konnten.

Bei dieser letzten Ausgabe, seinem Abschiedsfestival in Berlin, rückte Nils Landgren den Jazz aus Polen in den Fokus seines Programms. Krzysztof Komeda, der einflussreiche Jazzpianist und Filmkomponist, der bereits vier Tage vor seinem 38ten Geburtstag in Hollywood 1969 verstarb, ist mit seinen Werken immer noch überlebensgroß in der Musikszene Polens verankert. Auch junge Musiker beziehen sich auf ihn, sie sind mit seiner Filmmusik zu Polanski's Meisterwerken "Rosemaries Baby" und "Tanz der Vampire" aufgewachsen. Zum Auftakt des Berliner Jazzfestivals am Mittwoch, den 2.11.2011 wurde dann auch ein Dokumentarfilm über Komeda gezeigt. Ein Filmessay, der Komedas Soundtracks unter die Lupe nimmt. "Komeda - A Soundtrack for Life" beschreibt das Lebensgefühl polnischer Künstler der 50er und 60er Jahre.

 

 

Videotrailer "Komeda - A Soundtrack for a Life"

 

 

Einen Tag später standen drei polnische Musiker auf der Jazzfestbühne. Adam Pieronczyk machte den Anfang. Der Saxofonist stellte eine international besetzte Gruppe vor und präsentierte seine Bearbeitungen der Klangwelt Komedas. Schlagzeuger Lukasz Zyta konnte in diesem Konzert auch ein paar kurze Augenblicke Akzente setzen, die anderen Musiker und der Leader selbst waren blass und merklich uninspiriert, Pieronczyk schaute immer wieder auf seine Armbanduhr. Mit dem amerikanischen Saxofonisten Gary Thomas hätte Adam Pieronczyk ein echtes Saxofonduell annehmen können, wie in besten Jazztagen der berühmten Saxofon-Battles, es wurde daraus leider nichts.

 

Diesen Auftritt schnell abgehakt kam Festivalleiter Landgren danach auf die Bühne und bat die Zuschauer nicht den Saal zu verlassen, denn gleich würde der polnische Meisterpianist Leszek Mozdzer die Bühne entern. Gekonnt überbrückte Landgren die kurze Pause, das Haus der Berliner Festspiele verfügt über eine Drehbühne und der Konzertflügel stand schon auf der anderen Seite bereit, es mussten nur noch zwei Mikrofone installiert werden.
Mr. Redhorn erzählte eine Anekdote aus eigener Erfahrung bei einem amerikanischen Musikfestival. Dort stand ebenfalls eine Drehbühne zur Verfügung. Auf ihr standen mehrere große Jazzmusiker, unter anderem auch der Trompeter Roy Hargrove. Allen Musikern wurde vor dem Konzert eingeimpft, dass sie die Schlusstakte auszählen und jeder einzeln die Bühne verlassen sollte, dies taten auch alle, außer der junge Roy Hargrove, der immer weiter spielte. Die Festivalleitung stellte kurzerhand die Drehbühne in Betrieb und beförderte den "Aufmüpfigen" auf die Kehrseite der Zuschauer. Großes Gelächter im Publikum nach diesen Landgren'schen Ausführungen.

 

Dann tänzelte schon der junge polnische Pianist Leszek Mozdzer auf die Bühne und brannte ein echtes Feuerwerk an pianistischen Ideen ab. In Polen ist dieser Musiker ein echter Superstar, auch in Kreisen, die ansonsten wenig bis gar keinen Jazz hören. In Berlin konnte er das Publikum von den Sitzen reißen mit überraschenden Einfällen und einem beeindruckend dynamischen Anschlag. Das Abschlußkonzert dieses zweiten Jazzfestabends setzte der Trompeter Tomasz Stanko, der dem Oeuvre des Krzyztof Komeda ein wundervolles Konzert widmete. Stanko's Projekt "Litania" vereinigt polnische und skandinavische Musiker und auch der amerikanische Saxofonist Mark Turner ist dabei. Beim deutschen Jazzlabel No.1 ECM wurden seit 1976 immer wieder Aufnahmen von Tomasz Stanko veröffentlicht. Seine Erfahrungen an der Seite Komedas verarbeitete Stanko in diesem Projekt, von dem bereits 1996 das gleichnamige Album "Litania" erschienen ist.

 

 

Neben dem polnischen Schwerpunkt dieses Jazzfestjahrgangs traten Meister des amerikanischen und skandinavischen Jazz auf, die Glanzlichter setzten wie die US-Sängerin Lizz Wright oder der Saxofonist Charles Lloyd. Ganz besonders fein und intim war der Auftritt der schwedischen Sängerin Ida Sand im Jazzclub A-Trane, die am Samstagabend auch ihren Geburtstag feierte mit Ständchen und allem was dazu gehört. Als Gastmusiker gesellten sich der Pianist Joe Sample und Nils Landgren selbst dazu und gaben sich im kleinen Club die Ehre. Die Pianistin und fantastische Sängerin Ida Sand zeigte brillante Kostproben ihrer Kunst der Interpretation gospelgetränkter Jazzsongs, die Allgemeingut sind. Insbesondere ihre Version einer Songballade des Soulmeisters aller Klassen Donny Hathaway zählte zu den großen Momenten dieses Jazzfests.

Nils Landgren verlässt Berlin in umwälzenden Zeiten. Zunächst wird er sich eigenen, musikalischen Herausforderungen stellen seine Bands voranbringen. Mit dem deutschen Pianisten Michael Wollny, der auch ein begeisterndes Konzert beim Jazzfest gab, spielt er sich gegenwärtig die "Fersen" ab. Tolle Konzerte der beiden konnte man in diesem Herbst in den besten deutschen Konzertsälen sehen. Freuen wir uns auf die nächsten "Streiche" des Ronnie Hellström der Musik.

 

"Tack så mycket" Mr. Redhorn!!!

Videotrailer Nils Landgren